Dem Vektor auf der Spur - Zweites Gespräch über Vektoren

D: Nach unserem letzten Gespräch habe ich mir überlegt, dass ich jetzt eigentlich noch weniger als vorher weiß, was ein Vektor ist. Mir ist lediglich klar geworden, dass es hier nicht um bestimmte Eigenschaften des einzelnen Objektes geht, sondern um die Beziehungen einer ganzen Sammlung von Objekten untereinander wie bei Sammelobjekten aus einem irgendwie festgelegten Bereich. Aber von welcher Art sind denn diese Beziehungen bei Vektoren?

A: Bevor ich das beantworte, sollten wir erst einmal Klarheit über den wichtigen Begriff der Verknüpfung schaffen.

D: Die hab ich längst schon. Ich weiß seit meinem A-Schein, wie man zwei Enden miteinander verknüpft, nur haben wir das damals unter dem Oberbegriff Knoten gelernt, z.B. schlägt man einen Palstek, indem man ....

A: Das ist nicht genau das, was ich meine, aber vielleicht ein Ansatz. Stell dir vor, du hast in einem Eimer lauter Bindfäden unterschiedlicher Länge, die zum Teil selber durch Verknoten von kleineren Stücken entstanden sind. Wenn du jetzt sagst, dass du unter einer dem Ergebnis einer Verknüpfung von zweien dieser Objekte, nennen wir sie Max und Moritz, das durch Verknoten dieser beiden entstehende Objekt - es heiße Fidezius - verstehst, dann ist das so etwas wie eine Verknüpfung.

D: Das Wichtigste habe ich jetzt verstanden: Die Menge der Objekte nimmt also um eins ab, wenn man zwei miteinander verknüpft: Max und Moritz verschwinden und dafür ist nun Fidezius dabei.

A: Im Gegensatz zu den Begrenztheiten unserer äußeren Welt ist gerade das nicht der Fall. Stell dir stattdessen vor, dass genau ein Exemplar von Fidezius bereits vorhanden ist; du brauchst also Max und Moritz nicht wirklich zu verknoten, sondern nur zu überlegen, was das Ergebnis ist: Das ist nämlich bereits im Eimer vorhanden.

D: Dann muss der Eimer aber verdammt groß sein.

A: Deswegen existieren - bis auf einfache Modelle für einfache Fälle - diese Eimer, die Mathematiker sprechen von Mengen oder auch Räumen, auch nur in der Vorstellung.

D: Sie sind also reine Phantasieprodukte wie Bat-, Super- oder Spiderman und Dark Angel?

A: Einerseits ja, ....

D: Also ich fasse zusammen: Die mathematischen Objekte sind ausgedacht, die Verknüpfungen dieser Objekte untereinander sind ebenfalls reine Denkprodukte. Alles existiert nur in der Vorstellung. Es lebe die Phantasie! Ab sofort ist für mich 1+1=3, im Schaltjahr vielleicht = 4 und alle Dreiecke sind gleichseitig. Entweder erzählst du mir hier Märchen oder die Mathematiker müssen verrückt sein.

A: ... andererseits sind aber die Regeln, denen diese mathematischen Phantasieprodukte gehorchen, offenbar auch verbindlich für die Welt, in der wir leben, - aber das ist eine andere Geschichte und interessiert die Mathematiker nur am Rande. Wir wollten über Vektoren reden und nicht über das Thema "Spinne ich oder betreibe ich bloß Mathematik?". Die Bedeutung der mathematischen Ergebnisse steht doch längst außer Frage. Weißt du übrigens, wie viele Mathematiker unter den 167 Forschern und Experten waren, die Napoleon auf seinen Ägyptenfeldzug mitgenommen hat?

D: Nein, aber mir war auch von einem Ägyptenfeldzug Napoleons nichts bekannt; - vielleicht, weil wir nur bis zur Französischen Revolution gekommen sind; oder ist es mir nur so vorgekommen?

A: Neben 3 Astronomen, 17 Ingenieuren, 4 Architekten, 8 Zeichnern und 22 Schriftsetzern hat Napoleon 21 Mathematiker mitgenommen.

D: Donnerwetter! Und dann hat dieser Napoleon mit geballter Kraft die Pyramiden besetzt?

A: Keineswegs. Nachdem Engländer und Türken seinen Truppen den Garaus gemacht haben, war es damit nichts mehr. Aber die künstlerische und wissenschaftliche Ausbeute für Frankreich war ungeheuer.

D: Und was das mit Vektoren zu tun hat, wirst du mir sicher bei unserem nächsten Gespräch verraten.

Ende des zweiten Gesprächs über Vektoren.

Schlussbemerkung: Auch der mächtigste Staat hat weniger Repräsentanten als der Nullvektor.