Dem Vektor auf der Spur - Erstes Gespräch über Vektoren

D: Eins wollte ich dich schon immer gefragt haben, Anton, was ist eigentlich ein Vektor?

A: Warum willst du das denn wissen? Frag mich doch lieber etwas Witzigeres, z.B. was der Unterschied zwischen einem Propylen und einem Propyläen ist.

D: Nein das haben mir meine Lehrer in Chemie und Kunst gut genug erklärt. Was ich nicht verstanden habe, ist: Was ist ein Vektor?

A: Und das ist dir nicht erklärt worden?

D: Doch, aber auf ganz verschiedene und widersprüchliche Weisen: Der eine sagt, das sei eine Verschiebung, der andere erklärt es als Pfeil, und das Schärfste: Ein Vektor ist ein Element eines Vektorraums, - hahaha!

A: Wieso ist das so komisch?

D: Na hör mal, das ist doch so, wie wenn du einen Büffel als Mitglied einer Büffelherde definierst oder sagst, eine Schallplatte ist ein Bestandteil einer Schallplattensammlung.

A: Findest du? Und wie würdest du erklären, was ein Sammelobjekt ist?

D: Das ist doch klar: Etwas, was zu sammeln sich lohnt, z.B. Modelle von Darth Maul und Anakin Skywalker oder leere Bräunungscremetuben von Dieter Bohlen.

A: Die kenne ich alle nicht, ich dachte mehr an Sanella-Tiere, LOTR-Figuren aus Überraschungseiern oder linksdrehende Gartenzwerge.

D: Wer soll denn sowas haben wollen? Es kommt doch wohl auf das jeweilige Interessengebiet oder die subjektive Betrachtungsweise des jeweiligen Sammlers an.

A: Das heißt, ob etwas ein Sammelobjekt ist, hängt davon ab, im Zusammenhang mit welcher Person oder welcher Sammlung es betrachtet wird?

D: Klar.

A: Siehst du, so ähnlich ist es auch mit dem Vektor. Jedes Objekt kann – in dem entsprechenden Zusammenhang – als Vektor aufgefasst werden.

D: Also herrscht totale Willkür? Jeder kann das als Vektor nehmen, was er will? Das gefällt mir zwar einerseits ungemein, kommt mir aber im Zusammenhang mit meinem bisherigen Bild von der Mathematik doch ein wenig seltsam vor.

A: Natürlich ist eine Deutung als Vektor nur in bestimmten Zusammenhängen sinnvoll und ergiebig, aber die Mathematik ist nun einmal voll von solchen Zusammenhängen : Vektoren sind eben allüberall. Du kannst ja auch sammeln, was du willst, aber Sinnhaftigkeit und Sozialprestige einer Kollektion von Rennwagenmodellen oder Fußballerbildern zum Beispiel liegen doch deutlich über dem einer Sammlung von Pfannkuchen oder Hundehäufchen.

D: Danke, aber ich habe zur Zeit nicht vor, dergleichen zu sammeln. Lass mich erst einmal darüber nachdenken, vielleicht können wir später noch einmal über Vektoren sprechen.

Ende des ersten Gesprächs über Vektoren.

Schlusszitat: Was sind das für Zeiten, in denen ein Gespräch über Vektoren fast ein Verbrechen ist.
Nach Brecht: Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten ...