Dem Vektor auf der Spur - Fünftes Gespräch über Vektoren

D: Du findest mich heute blendend präpariert vor. Während sich bei den Fußballern Leverkusener auf allen drei Stufen des Treppchens der WM-Finale platziert haben, ist mir - deinen Weisungen folgend - klar geworden, wie man bereits gefundene Zauberquadrate verwenden kann, um daraus neue zu basteln. Ich habe vier grundsätzlich verschiedene Verfahren gefunden.

A: Nämlich?

D: Man kann ein Zauberquadrat drehen oder spiegeln, man kann zwei Zauberquadrate übereinander legen, man kann alle 9 Zahlen in einem Zauberquadrat mit der gleichen Zahl multiplizieren und man kann zu allen 9 Feldern eines Zauberquadrats die gleiche Zahl addieren.

A: Perfekt! Du hast ja die WM für dich richtig spannend gestaltet und wirklich viel herausgefunden. Aber bei einer deiner Entdeckungen werden wir auf den Gebrauch verzichten. Und von den anderen dreien ist eine bereits in einer vorhergehenden enthalten.

D: Ok, verzichten wir auf das Drehen und Spiegeln; das kam mir gleich vor wie ein Taschenspielertrick, weil man ja im Grunde nicht das Zauberquadrat, sondern nur die Position des Betrachters verändert. Aber sind die anderen drei Methoden nicht grundverschieden? Wenn wir uns mal drei Beispiele ansehen:.

10
2
3
0
7
8
5
6
4
1
2
5
0
5
3
7
1
0
11
4
8
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12
11
12
7
4
10
2
3
0
7
8
5
6
4
30
6
9
0
21
24
15
18
12
Aus und erhalte ich , malnehmen mit 3 ändert zu .
11
4
8
0
12
11
12
7
4
16
9
13
5
17
16
17
12
9
Und schließlich addiere ich 5 zu allen Zahlen in und erhalte .

A: Das sieht auf den ersten Blick sehr überzeugend aus, und wird beim Nachrechnen der Summen in den Zeilen und Spalten auch nicht schlechter, aber sind das wirklich alles Zauberquadrate? Die eingetragenen Zahlen sind doch nicht alle verschieden.

D: Das habe ich erst auch gedacht, aber dann funktioniert das zweite Verfahren nicht mehr zuverlässig und ich habe mich erinnert, dass wir bei unserem letzten Gespräch erlaubt haben, dass die gleiche Zahl in einem Zauberquadrat mehrfach vorkommt. Ich weiß nur nicht mehr, ob wir das überhaupt durften.

A: Wir haben eine neue Definition formuliert.

D: Aber ist das denn erlaubt?

A: Natürlich durften wir das, du wir bewegen uns hier nicht in einer Schule, einem Golfclub oder bei einer Sportart, bei denen feste Regeln vorgegeben sind, sondern im freien Land der Mathematik. In die Schule darfst du kein Pferd mitbringen, wenn du nicht Pippi heißt, du darfst die Statuen auf dem Golfplatz nicht enthaupten, außer wenn du wie Goldfinger der Eigentümer des Golfplatzes bist, und du darfst nicht ungestraft den Ball mit der Hand ins Fußballtor befördern, wenn du nicht gerade Diego Maradona heißt.

D: Moment! Sagtest du freies Land der Mathematik? Gerade in der Mathematik ist doch alles geregelt und vorgeschrieben. Ist das nicht eigentlich der Inbegriff der Unfreiheit?

A: Nur soweit du dich in einem Bereich festgelegter Begriffe bewegst. Wenn du mit dem Auto durch eine Stadt fährst, musst du auch die Straßen benutzen und die Verkehrsregeln beachten. Bei einem Stau musst du stehenbleiben und warten. In Mathematik definierst du ein Spezialauto, was auch fliegen kann, und lässt den Stau einfach unter dir zurück. Und bei einem 3*3-Goethequadrat, einem Element des Goetheraums, lassen wir eben zu, dass die gleiche Zahl an verschiedenen Stellen vorkommt.

D: Dann will ich gleich mal von dieser Freiheit Gebrauch machen und definiere, dass damit das Rechnen im Goetheraum seinen verdienten Abschluss gefunden hat.

A: So geht es natürlich nicht. Du kannst Begriffe definieren und bestimmte Sachverhalte mit selbstgewählten Namen versehen, aber du kannst nicht alleine durch Definieren Sachverhalte ändern. Es geht nicht darum, Bekanntes umzusortieren, sondern Neues zu schaffen. Wenn dir dazu die Phantasie fehlt, wende dich von der Mathematik ab, - wie ein Assistent des berühmten Mathematikers David Hilbert, der aus diesem Grund lieber Schriftsteller geworden ist.

D: Ich wollte mich ja nicht abwenden, sondern nur kurz einmal meine neu entdeckte Freiheit auskosten. Jetzt bin ich reumütig wieder da, um endlich zu hören, warum meine drei Methoden zum Erzeugen neuer Goethequadrate nicht alle verschieden sein sollen.

A: Dann vergleiche doch mal deine erste und deine dritte Methode. Bei der ersten hast du die entsprechenden Felder von zwei Zauberquadraten addiert und die Summe jeweils als Zahl im entsprechenden Feld eines dritten Zauberquadrats genommen. Bei der dritten Methode hast du zu allen Zahlen eines Zauberquadrates die gleiche Zahl addiert. Merkst du, dass das etwas mit dem ersten Verfahren zu tun hat.

D: Ich habe beide Male etwas addiert, aber beim ersten Mal die Zahlen eines Zauberquadrats und im anderen Fall neunmal die gleiche Zahl, - Moment, das ist ja das Gleiche, als wenn ich die Methode 1 mit einem Quadrat aus neun gleichen Zahlen anwende. Tatsächlich, das ist also nur ein Spezialfall der ersten Methode.

A: Bleiben also zwei wesentliche Methoden zur Erzeugung von Zauberquadraten aus bestehenden Zauberquadraten. Du kannst zwei Zauberquadrate "addieren", indem du die Addition für jedes Feld durchführst, und du kannst eine Zahl mit einem Zauberquadrat multiplizieren, indem du jedes Feld mit dieser Zahl malnimmst.

D: Und was hat das nun mit dem Vektorraum zu tun?

A: Entscheidend! Diese beiden Möglichkeiten der Rechnung bilden die Grundlage des Vektorraums; sie müssen nur noch bestimmte Rechenregeln erfüllen. Aber über die wollen wir beim nächsten Mal sprechen.

Ende des fünften Gesprächs über Vektoren.