Im Visier: Der Vektor - Siebzehntes Gespräch über Vektoren

A: Wir wollten uns drei Beispiele ansehen, wie bei dem von uns betrachtete Raum RA die Menge A anwendungsfähig zu wählen ist. Beim ersten war A die endliche Menge {1,2,3,... n}; dies führte zu Rn.

D: Gibt es für diesen Vektorraum einen besonderen Namen?

A: "R hoch n" - oder wenn dir dies zu kurz ist, kannst du auch von der "Menge der n-gliedrigen reellen Folgen" sprechen.

D: Ich dachte immer, Folgen hätten unendlich viele Glieder.

A: Endliche Folgen sind Funktionen mit einer Argumentmenge der Form {1, 2, 3, ..., n}; bei unendlichen Folgen ist die Argumentmenge N oder N* .

D: N kenne ich, aber was ist N*?

A: Wenn in einer Menge M eine Addition erklärt ist und o das neutrale Element dieser Addition ist, dann bezeichnet M* die Menge M\{o}. Also R* = R\{0}, Q* = Q\{0}, N* = N\{0}.

D: Sehr praktisch. Allerdings betont mein Mathematiklehrer immer, dass 0 keine natürliche Zahl sei, weil kein Mensch von 0 an zähle; bei uns im Unterricht ist N = {1,2,3,...}; hat er da nicht recht?

A: Mathematische Definitionen lassen sich nicht aus dem allgemeinen Sprachgebrauch oder Untersuchungen des Wortsinns begründen, sondern sind bei aller Zweckmäßigkeit willkürlich. Natürlich kann man über eben diese Zweckmäßigkeit lange und auf unterschiedlichem Niveau diskutieren.

D: Und wo finden solche Diskussionen statt?

A: Zum Beispiel in deutschen mathematischen Newsgroups. International ist die Null längst die erste natürliche Zahl, übrigens gilt in Deutschland die entsprechende DIN-Festlegung (DIN 5473) ebenfalls seit Jahrzehnten.

D: Dann will ich dieses Diskussionsthema demnächst mal in meinem Unterricht ansprechen; im Augenblick interessieren mich allerdings mehr die anderen Beispiele für die Argumentmenge A.

A: Wie eben schon erwähnt, erhalten wir für A=N die Menge RN der (unendlichen) reellwertigen Folgen. Folgen sind ein wichtiges Hilfsmittel, nicht nur in der Analysis.

D: Wir haben arithmetische und und geometrische Folgen kennengelernt, außerdem konstante, beschränkte, monotone und konvergente. Das sind also alles Elemente von RN.

A: Ja, und es ist gut, wenn du diese Begriffe nicht nur kennengelernt, sondern auch verstanden hast, weil wir damit später instruktive Beispiele betrachten können, ohne die jeweils wichtigen Eigenschaften kleinschrittig neu untersuchen zu müssen. Habt ihr euch auch mit rekursiv definierten Folgen beschäftigt?

D: Du meinst: Mit den Rekursionen an+1 = q.an und an+1 = d+an für geometrische bzw arithmetische Folgen?

A: Ich meine auch mehrgliedrige Rekursionen wie z.B. an+2 = an + an-1.

D: Ich erinnere mich nicht. Allerdings hatten wir in der Informatik, wie mir jetzt einfällt, auch noch so eine Rekursion, ich glaube beim Turm von Hanoi: an+1 = 2.an+1. Soviel ich weiß, hat allerdings keiner im Kurs die Herleitung der Formel für an richtig verstanden. Gib mir doch lieber noch das dritte Beispiel für A, das mir ja angeblich vertraut ist.

A: Du wählst A als zusammenhängende Teilmenge der reellen Zahlen, also z.B. A = [-2;1]; dann ist RA die Menge der von dir in der Analysis betrachteten Funktionen mit Argumentmenge A.

D: Also die Menge der stetigen, differenzierbaren, monotonen, beschränkten, ganzrationalen, integrierbaren usw. Funktionen, mit denen wir uns in der Differential- und Integralrechnung befasst haben?

A: Genau die; - und viele von ihnen bilden selber wieder einen Vektorraum innerhalb von RA, teilweise sind sie noch einmal ineinander geschachtelt.

D: So wie die Puppe in der Puppe?

A: Das Bild passt nicht ganz, vor allem, weil solche Teilräume sich untereinander wieder überschneiden können. Aber als grobe Vorstellung mag es durchgehen.

D: Also bilden zum Beispiel die auf R monotonen Funktionen einen Vektorraum innerhalb von RR?

A: Die nun gerade nicht. Ein solcher Untervektorraum muss alle Vektorraumaxiome erfüllen, also auch das der Abgeschlossenheit bezüglich der Addition. Und du findest leicht ein Beispiel einer isotonen (monoton zunehmenden) und einer antitonen (monoton abnehmenden) Funktion, deren Summenfunktion nicht monoton ist.

D: Hm, im Moment fällt mir leider gerade kein solches Beispiel ein.

A: Dann wirst du dafür die Zeit zu unserem nächsten Gespräch nutzen. Finde für A=R, oder wenn du willst, für eine Teilmenge A von R je eine isotone und eine antitone Funktion aus RA, deren Summenfunktion weder isoton noch antiton ist. Du kannst dir ja auch gleich noch überlegen, ob du diesem Problem der Nicht-Abgeschlossenheit entgehst, wenn du z.B. nur die Menge der isotonen Funktionen betrachtest; denn die Summe zweier isotoner Funktionen ist ja isoton.

Ende des siebzehnten Gesprächs über Vektoren.